Fischers Schreibbude!
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                   Auf den zweiten Blick

                                                       Ein unbequemes Lesebuch

 

 

Über sechzig heitere und nachdenkliche Kurzgeschichten, Essays, Satiren, Skizzen und Lyrik, in denen stets Stellung bezogen wird, warten darauf, gelesen zu werden.

 

 

Klappentext:

 

"Auf den zweiten Blick" ist ein unbequemes Lesebuch, das zum Hinterfragen vermeintlicher Gewissheiten auffordert. Denn nichts ist so, wie es auf den ersten Blick aussieht. Hinter menschlichen Gemeinheiten steckt stets eine Absicht, die leider zu oft im Verborgenen bleibt. Nur wer solche Absichten erkennen kann, ist fähig, den Aggressoren dieser Welt etwas entgegenzusetzen. Sich zu trauen, einen zweiten Blick zu wagen, die erkannte Wahrheit hinter der Lüge zu benennen und sie anderen mitzuteilen, ist somit eine lohnende Lebensstrategie.

 

Verlag: BoD, 3. Auflage 2016

Broschur: ISBN 9783738650662, Preis: 9,99€

Ebook: ISBN 9783739279343, Preis: 6,99 €

 

 

Leseprobe:

 

Warum man auch im Wald Rücksicht nehmen sollte

Ein Buschwindröschen hatte sich viel vorgenommen. Es wollte durch den großen Wald wandern. Es stellte sich vor, irgendwann dort anzukommen, wo der Buchenwald zu Ende war und sich eine andere Welt eröffnete. Natürlich war ihm klar, dass es sehr lange dauern konnte. Wenn es sein Ziel schon nicht selbst erreichen würde, dann auf jeden Fall eines seiner Nachkommen in der wer-weiß-wie-viel-ten Generation. Und so begann das Buschwindröschen seine Wanderschaft. Allerdings nicht allein, weil viele andere Buschwindröschen dieselbe Richtung einschlugen, obwohl das unter ihnen nicht abgesprochen war.

Irgendwann stand dem Buschwindröschen eine riesige Buche im Weg, die es auf seinem Weg hätte umwandern müssen. Da bog es seinen Kopf ganz nach hinten in den Nacken, damit es auch gut nach oben schauen konnte. Dann sprach es mit seiner piepsigen Stimme den Baum an und bat ihn, ein wenig Platz zu machen und ein kleines Stück zur Seite zu treten. Die Buche antwortete brummig, das Recht des Stärkeren gelte auch im Wald. Wegen eines winzigen Buschwindröschens würde sie doch weder eine Ausnahme noch einen Schritt zur Seite machen. Ihres Lebensziels beraubt, wandte sich die kleine Pflanze seufzend ab und wollte nun nicht mehr weiter wandern.

Da zog ein lautes, Furcht einflößendes Gewitter auf. Sein Regen gab dem Buschwindröschen neue Kraft. Und plötzlich schlug ein mächtiger Blitz in die Buche, der sie der Länge nach und bis zur Wurzel spaltete. Noch im Fallen ihre Missgunst auslebend, dachte die Buche: „Und dennoch habe ich gesiegt, weil ich mich dem Buschwindröschen quer in den Weg legen werde.“ So geschah es auch. Aber im nächsten Frühjahr, noch bevor das Buschwindröschen hätte weiterwandern können, wäre die Buche nicht gewesen, kamen Waldarbeiter und zersägten die Buche zu kurzem Brennholz. Das Buschwindröschen jedoch konnte seinen Lebensweg fortsetzen und erreichte tatsächlich durch seine Anstrengung und über seine Nachkommen sein Ziel.

Und die Moral von dieser Geschichte: Hochmut kommt vor dem Fall!

 

 

Fünf Jahre eines Lebens

Fünf Jahre, die formen und deformieren,

körperlich, charakterlich, seelisch.

 

Fünf Jahre an dieser Maschine

Auspuffkrümmer, Auspuffkrümmer, Auspuffkrümmer schweißen.

 

Fünf Jahre lang, 3250 Stück pro Frühschicht, Spätschicht, Nachtschicht

in unbarmherzigem Rhythmus.

 

Fünf Jahre als Glied einer Armee von Fabrikarbeitern

mit dem nicht weichen wollenden Gefühl, Teil dieser Maschine zu sein.

 

Fünf Jahre wachsen Muskeln und ein breites Kreuz im Maschinentakt,

nur der Verstand – der stört und will nicht schrumpfen.

 

Fünf Jahre, in denen dieser Verstand ungefragt und widerspenstig weiter wächst,

weil er nicht einsehen will, überflüssig sein zu sollen.

 

Fünf Jahre, zerrissen zwischen der Angst, sonst nicht existieren zu können

und der Angst, weiterhin so existieren zu müssen.

 

Fünf Jahre, die trotz allem nicht zu dumpfer Einfalt führen,

aber Resistenz und Renitenz gedeihen lassen.

 

Fünf Jahre des Lebens, die irgendwann enden – eher zufällig –

und einem wirklichen Leben weichen.

 

Fünf Jahre des Lebens, die trotz ihrer Hoffnungslosigkeit noch ein reiches Leben bescheren,

weil sie lehren, wie groß die überwundene Kluft und der Gewinn sind.

 

Fünf Jahre, die unabänderlich so zu leben waren, aber dafür sorgen,

dass niemals vergessen werden kann, was ein solches Leben bedeutet.

 

Fünf Jahre, von denen zwei Dinge geblieben sind:

klare, quälende Erinnerungen und das breite Kreuz.

 

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© Hans-Jürgen Fischer